Die Geschichte der Fotoklasse an den
Kölner Werkschulen

Am 6. Januar 1947 berichtet Der Spiegel in seiner Erstausgabe auf den knappen 24 Seiten zweimal über Kölns Kulturaktivitäten. Einmal werden die Bauarbeiten am Kölner Dom kommentiert und unter der Rubrik Personalien wird auf eine andere Kölner Institution hingewiesen: „Professor Wallner[1], der langjährige Leiter der 1879 gegründeten Kölner Werkschule, eröffnete Ende Dezember wieder sein Institut.“[2] Die Werkschulen waren zu 70% zerstört, die Studierenden müssen selbst beim Wiederaufbau mithelfen.[3]

Mit dem Direktor und Kunsthistorikers August Hoff kehrte der Architekt Dominikus Böhm zurück und übernimmt wieder (wie vor 1933) bis 1953 die Abteilung Kirchenbau; Friedrich Vordemberge und Otto Gerster lehren Malerei, Ludwig Gies[4] Plastik, Wolfgang Wallner die Bildhauerei und Elisabeth Treskow[5] Goldschmiedekunst.

In den 1950er Jahren, unter der Leitung von Friedrich Vordemberge, entwickelt sich der Schwerpunkt Freie Kunst und die Werkschulen werden so zur „Kölschen Kunstakademie“. „Köln liefert als Werkschulen das Modell einer modernen Kunsthochschule. Drei Malklassen, drei Bildhauer-Klassen, eine freie Grafikklasse für Lithographie und Radierungen stehen acht angewandten Bereichen gegenüber (Gold- und Silberschmiede, Typographie, angewandte Grafik, Architektur, Innenarchitektur, Keramik, Textil-Mode).“[6]

1950 hat die Gruppe fotoform[7] (mit ihrem Leiter Otto Steinert) ihre erste Ausstellung auf der Photokina (damals Photo-Kino Ausstellung genannt). Vom 21. bis zum 28. Oktober 1951 zeigt Otto Steinert (Leitung der Gruppe fotoform), nach der ersten Station Saarbrücken, die Ausstellung subjektive fotografie[8] mit 160 Arbeiten im Belgischen Haus in der Hahnenstrasse. 1953 wird subjektive fotografie 2 auf Photokina in Köln gezeigt.

1953 erwirbt die Stadt Köln August Sanders Mappenwerk Köln wie es war. Die 364 Negative werden ins Rheinische Bildarchiv übernommen. Die zugehörigen Vintage Prints gelangen in die Graphische Sammlung des Historischen Museums der Stadt Köln.[9]

1958 schreibt L. Fritz Gruber in einem Text im Universitätsführer über Köln, die Stadt der Photographie.[10] „Wie kein Ort sonst in der Welt gilt Köln heute mit Recht als die ‚Stadt der Photografie‘.“ Er sieht Köln durch die ‚Photokina‘, die ‚Deutsche Gesellschaft für Photographie‘ und die ‚Staatliche Höhere Fachschule für Photographie‘ als einzigartigem Anziehungspunkt der Fotofachleute und Foto-Amateure. Otto Steinert präsentiert auf der photokina 1958 die Ausstellung subjektive fotografie 3 mit 105 Arbeiten. Und 1958 stellt der französische Fotograf Lucien Clergue[11] in seiner ersten Ausstellung in Deutschland in den Kölner Werkschulen seine Arbeit Corps Mémorable aus, das Plakat dazu hat Pablo Picasso[12] gestaltet.

In den 1960er Jahren sind die Kölner Werkschulen mit 5 Abteilungen, 21 Lehrbereichen und knapp 500 Studenten das größte Kunstinstitut in Nordrhein-Westfalen und gehörte neben Hamburg, Berlin und München zu den größten der Bundesrepublik. Friedrich Vordemberge fragt 1964 Otto Steinert in Essen nach einem geeigneten Lehrer für eine eigenständige Abteilung Fotografie[13].

1965 wird Arno Jansen für eine Fotografie-Stelle an die Kölner Werkschulen berufen. Er selbst beschreibt sich damals als „Künstler-Lehrer-Klassenleiter“[14]. Arno Jansen hatte bei Otto Steinert in Essen studiert und arbeitete seit 1964 als Bildjournalist für die Stadt Braunschweig und hatte dort auch einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule.

1967 wurde der Wiederaufbau und ein Neubau der Kölner Werkschulen fertiggestellt und mit einer Publikation gefeiert. Die Fotoklasse zieht in eigene Räume in den 5. Stock. 1968 erfolgte die Umbenennung in: Akademie der Bildenden Künste Köln – Kölner Werkschulen.

1968 erarbeitet eine Studenten-Initiative der Werkschulen eine vergleichende Zusammenstellung des vielfältigen Angebots der Kunst-Lehre an den jeweiligen Kunsthochschulen und Werkschulen in der Bundesrepublik. Fotografie als eigenes Fach wird neben Köln nur an den Werkschulen in Essen (bei Otto Steinert) und Wuppertal angeboten, an den Hochschulen für Bildende Kunst nur in Braunschweig, Hamburg und Stuttgart.[15]

In einer kompletten Auflistung der DGPh[16] der Ausbildungswege für Fotografie in Deutschland von Gottfried Jäger im Frühjahr 1969 gibt es folgende Erkenntnisse: Werkkunstschulen mit einer Klasse für Fotografie gibt es in Essen (Otto Steinert), Köln (Arno Jansen), Kiel (vakant), Darmstadt (Claus Schmidt), Dortmund (Pan Walther), Kassel (Floris M. Neusüß) und Düsseldorf (Klaus Kammerichs). An Hochschulen mit einer Fotoklasse werden Hamburg (Lilian Breier) und Berlin (Annemarie Groepler) genannt. Dazu kommen Interdisziplinäre Schulen mit integrierter Abteilung für Fotografie in Aachen, Bielefeld (Gottfried Jäger), Bremen, Hamburg, Hannover (Heinrich Riebesehl), Krefeld (Detlef Orlopp), Mainz (Wolfgang Reisewitz), Münster, Offenbach, Trier, Wiesbaden, Wuppertal, Berlin und Stuttgart.

Neben Arno Jansen wurde besonders auch in der Klasse von Professor Alfred Will (emeritiert 1971) mit den Möglichkeiten der Fotografie experimentiert.

Aber nur die Kölner Werkschulen und die Staatliche Werkkunstschule Kassel nennen als alleiniges Lehrziel: Kreative Kenntnisse und Fähigkeiten. Alle anderen möchten daneben auch technische, manuelle und/oder pädagogische Fähigkeiten vermitteln. Die Kölner Werkschulen ist damit die erste Fotoausbildung in NRW, die Fotografie weder angewandt noch rein handwerklich vermittelt, sondern ausschließlich als künstlerisches Medium. Und die Fotoklasse steht gleichwertig im Zusammenspiel mit den anderen künstlerischen Abteilungen an den Werkschulen Köln[17].

1970 bat die Stadt Köln durch einstimmigen Ratsbeschluss das Land Nordrhein-Westfalen, „zur Erhaltung des Ranges und des Rufes“ die Kölner Werkschulen in eine Staatliche Hochschule für Bildende Künste umzuwandeln. Der zuständige Wissenschaftsminister Johannes Rau überführte jedoch die Werkkunstschule seiner Heimatstadt als Fakultät in die Bergische Universität Wuppertal, die Kölner Werkschulen hingegen gliederte er als Fachbereich Kunst und Design in die 1971 neu gegründete Fachhochschule Köln ein. Ab 1973 ist Arno Jansen Professor für Künstlerische Fotografie im Fachbereich Kunst und Design an der Fachhochschule Köln am Ubiering.

In der Struktur der neu geordneten Schule von 1971, im letzten Jahr der Eigenständigkeit, lehrten 65 Dozenten und Professoren an den Kölner Werkschulen, die in sechs Abteilungen gegliedert war: Die Grundlehre: Zeichnen, Formen, Malen, Akt; Die Baukunst: Profan- und Kirchenbau, Architektur und Innenarchitektur; Die Bildenden Künste: Bildhauerei und Bauplastik, Metallbildhauerei, Studio für Metallgestaltung, Kunstschmiede, Gold- und Silberschmiede, Sakrale und profane Malerei, Wandmalerei, Freie Grafik, Fotografie, Textile Gestaltung, Freie Malerei, Fläche und Raum, Bühnenbild, Kostümgestaltung; Die Visuelle Kommunikation: Graphik-Design, Typographie, Photografik, Illustration; Die Formgebung: Keramik, Gestaltung von Maschinen und Gerät, Gestaltung von Gebrauchsgütern; dazu Vorlesungen und Seminare in: Kunsthistorik, Anatomie, Ästhetik, Soziologie, Psychologie, Dramaturgie, Kybernetik.[18]

Die Kunstakademie in Düsseldorf taucht in all diesen Zusammenstellungen über Fotografieausbildungen und Neustrukturierungen nicht auf. Der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie Norbert Kricke (von 1972 bis 1981) bot Bernd Jansen[19] [20], dem jüngeren Bruder von Arno Jansen, eine neue Professur für Künstlerische Fotografie an. Bernd Jansen lehnt ab und Bernd Becher übernimmt 1976 die Professur.

In einer Informationsbroschüre zum Beruf des Foto-Designers der Bundesanstalt für Arbeit 1977 wird die Besonderheit der Kölner Hochschule folgendermaßen beschrieben: „Der Studiengang gliedert sich in ein fotografisches Grundlagenstudium und ein mit dem Dozenten abzusprechendes Bearbeiten fotografischer Themen freier Wahl. Es gibt keine Pflichtstundenzahl, keine Pflichtveranstaltungen, individual-künstlerische Ausrichtung.“[21]. Zum hundertjährigen Bestehen der Schule 1979 wird ein großer Katalog veröffentlicht, mit Arbeiten von Studierenden und den Dozentinnen und Dozenten. Arno Jansen, die beiden Lehrbeauftragten und ein Student[22] werden mit Fotoarbeiten vorgestellt[23].

Seit dem 1.1.1980 gilt für den Fachbereich Kunst das gleiche Aufnahmeverfahren wie für die Akademie in Düsseldorf, d. h. eine Kommission aus dem ganzen Fachbereich prüft die Mappen derer, die aufgenommen werden wollen.[24]

Die Fotoklasse nimmt ab 1984 dreimal an der neu initiierten Internationalen Photoszene teil, die von Jeanne von Oppenheim (DGPh), Reinhold Mißelbeck (Museum Ludwig), Winfried Gellner (Kulturamt) und Peter Nestler (Kulturdezernent) koordiniert werden. Im Ausstellungsraum der Schule werden 1984 mit der Ausstellung Gegensätze Arbeiten von zwanzig Studierenden der Klasse Arno Jansen gezeigt. Karl Marx, der Dekan des Fachbereichs Kunst und Design, schreibt im Katalog dazu: „Mit der Berufung von Arno Jansen an die Kölner Werkschulen [ …] trat die Fotografie aus ihrer dienenden Funktion heraus und wurde mit zu einer tragenden freikünstlerischen Disziplin. [ … ] Ganz entscheidend scheint mir vor allem, daß hier im Ansatz die Aufgabe des Künstlers in unserer Gesellschaft richtig verstanden ist.“[25] 1986 folgt Gegensätze 2 (19 Studierende) und 1988 Figuren und Räume  (16 Studierende).

Die Kölner Werkschulen werden in den 1980er Jahren zerlegt: Die Architekturabteilung wird räumlich ausgelagert nach Deutz und dann mit der Bauingenieur-Ausbildung zusammengefasst. Als Folge des 1987 beschlossenen Kunsthochschulgesetzes wird die Freie Kunst als Studienfach endgültig aufgegeben und das bisherige Lehrangebot des Grafikdesigns im so genannten „Kölner Modell“ zunächst in eine Fakultät, den „Fachbereich Design“ überführt.

1992 finden zwei Ausstellungen zum Ende der Schule am Ubierring statt, Finale in der Joseph-Haubrich-Kunsthalle, konzipert von Klaus Honnef und Plüschprummen im Gothaer Kunstforum, ausgewählt von einem Fünferteam um Winfried Gellner (Kunlturamt) und Christiane Dinges (Artothek). In beiden Ausstellungen sind Studierende von Arno Jansen vertreten, jeweis 10 % der Teilnehmenden.

1993 schließt die Schule nach 114 Jahren. Die vielen Bemühungen, den anerkannten Status zu halten und aus ihr eine Akademie zu machen, sind endgültig gescheitert. Arno Jansen wechselt die Rheinseite und führte eine Lehrtätigkeit im Fachbereich Architektur/Architekturfotografie an der TH in Köln-Deutz aus.

Bei Arno Jansen hatten in den 28 Jahren seiner Lehre an den Kölner Werkschulen etwas mehr als hundertzwanzig Studierende[26] Künstlerische Fotografie gelernt, einige beendeten ihre Studien als Meisterschüler.

Nach der Neuordnung im Hochschulbereich gingen aus den ehemaligen Kölner Werkschulen und dem Fachbereich Kunst und Design an der Fachhochschule eine akademische Hochschule sowie ein Institut in Köln hervor: Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) und Köln International School of Design (KISD).

[1]Wolfgang Wallner (1884-1964) wurde 1912 vom Direktor der Kölner Werkschulen nach Köln berufen, wo er als Künstlerlehrer mit der Einrichtung einer Bildhauerklasse betraut wurde. 1923 wurde er zum Professor ernannt und 1939 zum stellvertretenden Direktor. Er lehrte dort nach 1946 Bildhauerei und Plastik bis 1950.

[2] Der Spiegel, 6.1.1947, Hannover, S.13.

[3] August Hoff, 75 Jahre Kölner Werkschulen, 1954, S.53.

[4] Der Bundesadler im Bonner Bundestag wurde in Köln von Ludwig Gies entworfen

[5] Eine der populärsten Arbeiten von Elisabeth Treskow ist die Meisterschale des Deutschen Fußballbundes, die so genannte „Salatschüssel“, die sie mit ihren Studenten an den Kölner Werkschulen 1949 anfertigte. Wilhelm Nagel, der ehemalige Assistent von Elisabeth Treskow an den Kölner Werkschulen, entwarf und fertigte 1964 den DFB-Pokal.

[6] Kölner Werkschulen – Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, AStA der Kölner Werkschulen, Heft, November 1968, S.13.

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Fotoform abgerufen am 21.7.2021

[8] Subjektive Fotografie, Museum Folkwang, Essen, 1984, S.148.

[9] https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/kultur/rheinisches-bildarchiv/chronik-des-rheinischen-bildarchivs-koeln, abgerufen am 22.7.2021

[10] L.Fritz Gruber, in Universitätsführer Köln 1958, Allgemeiner Studentensuaschuß der Universität zu Köln, S.212/213.

[11] Lucien Clergue (1934-2014) war ein französischer Fotograf, Autor und Filmemacher. Er war bekannt für seine Objektfotografie und für weibliche Akte, und auch durch Picasso, der ihn als einer der ersten als Künstler anerkannte, während derlei Fotos (sofern auch das Gesicht der dargestellten Person erkannt werden konnte) in Frankreich damals als Pornografie galten und somit illegal waren. 1968 begründete er das jährlich in Arles abgehaltene Fotografie-Festival Rencontres Internationales de la Photographie; wikipedia, abgerufen 26.6.2021

[12] https://lucien-clergue.com/en/exhibitions/ … abgerufen 26.6.2021

[13] Schreiben Friedrich Vordemberge an Otto Steinert vom 31.7.1964, Hist.Archiv der TH Köln (HATHK) zit. in: Daria Bona, Die Kölner Werkschulen und die Fotografie in den 1960er und 70er Jahren, in: Subjekt und Objekt. Foto Rhein Ruhr, Düsseldorf2020

[14] Arno Jansen in einer biografischen Selbstbeschreibung in: Kuns con Text, Ausgabe 4, April 2005, Herbert Döring-Sprengler, Renate Ottersbach (Hrsg.), S.10f.

[15]Kölner Werkschulen – Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, AStA der Kölner Werkschulen, Heft, November 1968, S.56/57.

[16] Gottfried Jäger, Ausbildungswege zur Fotografie, DGPh, o.O., Frühjahr 1969.

[17]Kölner Werkschulen – Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft, AStA der Kölner Werkschulen, Heft, November 1968, S.24/25.

[18] https://de.wikipedia.org/wiki/Kölner_Werkschulen, abgerufen am 22.7.2021

[19] https://eiskellerberg.tv/2020/11/19/vom-finderglueck/ … abgerufen am 26.6.2021

[20] Bernd Jansen (*1945) studierte Fotografie bei Otto Steinert und arbeit als freischaffender Künstler in Düsseldorf.

[21] Bundesanstalt für Arbeit, Band 2 Blätter zur Berufskunde: Foto-Designer, 2-XI G 04, Oktober 1977, Fachl. Beratung: Floris Michael Neusüß, Nürnberg 1977, S.91.

[22] Burkhard Jüttner (Lehrauftrag 1978-81), Rainer Gaertner (Lehrauftrag 1979-?) und Paul Maaßen

[23] hundert jahre kölner werkschulen, Oktober 1979

[24] Fachhochschule Köln, Fachbereich Kunst und Design, in: Ausbildungswege zur Fotografie – Ein Studienführer, bearb. v. Rolf Sachsse, Mahnert-Lueg Verlag, München, 1981, S.42-44.

[25] Internationale Photoszene Köln 1984, DGph, Kulturamt Stadt Köln (Hrsg.), S.74.

[26] Recherche Wolfgang Vollmer 2018-2021